Mittwoch,17.Dezember 2003
Seele auf der dünnen Haut
Die Künstlerin Susanne Rast ist eine
Meisterin der menschlichen Figur. Neuere Arbeiten zeigt jetzt die
Rostocker Galerie artFuhrmann.
Rostock (OZ) Was hat diese Figur, dass ihr Anblick trifft wie ein
Schlag? Blass und schmächtig sitzt sie da, leicht vorgebeugt
auf rohem Holz – mit ernstem Gesicht, schmalen Schultern,
kleinen Brüsten, dünnen Beinen – die weißen
Hände reglos vor dem Schoß gefaltet. Als ob sie versonnen
auf etwas oder jemanden warten würde. Dabei ist doch sonnenklar,
dass so ein Gips allenfalls darauf wartet, in Bronze gegossen zu
werden. Aber wie die Aura dieser stillen Plastik in den Raum wirkt
und ihn verändert, hat etwas Zwingendes. Es ist die Kunst von
Susanne Rast, die das bewirkt: Sie zeigt nicht nur „Tony,
New York“ (wie die Ausstellungsliste sagt), sondern ermöglicht
dem Betrachter vor allem eine elementare Begegnung mit der menschlichen
Seele.
Die lebensgroße Gipsplastik aus dem Jahr 2003 gehört
zu den stärksten Exponaten der jüngst eröffneten
Rast-Schau im Rostocker Fischereihafen. In der Galerie von Marcus
und Florian Fuhrmann zeigt die in Kneese unweit von Rostock lebende
Künstlerin Plastik und Zeichnungen. Die meisten der 33 durchweg
figürlichen Arbeiten hat sie in den letzten vier Jahren geschaffen,
und alle ihre Figuren – ob in Bronze, aus Holz oder auf Papier
– tragen die empfindsame Seele mehr oder weniger auf der dünnen
Haut. Dass die eindringlichen Rastschen Zeichnungen im Zusammenklang
mit dem bildhauerischen Schaffen als eigenständige, höchst
qualitätvolle Werkgruppe präsentiert werden, gehört
zu den großen Vorzügen dieser Ausstellung.
Die menschliche Gestalt – für Susanne Rast ist sie Maß
aller Dinge, Maßstab der Welt, nackter Gegenstand ihrer Kunst.
Keinerlei (Ver)Kleidung. Kein Verstecken hinter Faltenwurf oder
Haartracht, selbst die Schädel sind meist kahl. Dabei verweigert
sich die strenge Form bei aller Nacktheit konsequent vordergründiger
Attraktivität, was der Schönheit übrigens keinen
Abbruch tut. Obwohl ihre androgynen Gestalten oft von eigentümlichem
Reiz sind, geht es bei Susanne Rast um Ethik, nicht um Erotik. Wie
die zeichenhaften Skulpturen der Gotik verkörpern die anmutigen,
überlängten Figuren der 1962 in Rostock geborenen Künstlerin
übergreifende, allgemeingültige Inhalte. Das heißt,
es kommt darauf an, was drin steckt: Gedanke, Gefühl, Haltung
– Beziehung zur Welt. Im Mittelalter war das Entschlüsseln
solcher Kunstwerke – unabhängig von der Meisterschaft
des Steinmetzen – leicht, denn der Kanon war Allgemeingut.
Heute muss der Inhalt über die besondere Qualität der
Oberfläche vermittelt werden. Susanne Rast gelingt das, weil
ihre Arbeiten jenseits aller Ismen kunstvoll verallgemeinern, was
jeder in sich finden kann. „Zwei im gotischen Bogen“
heißt ihre berührende Eichenskulptur einer Madonna mit
Kind. In einer ganzen Reihe von Arbeiten gestaltet Rast, die in
Berlin-Weißensee u. a. bei Jo Jastram studiert hat, immer
wieder die Beziehung von Vater und Tochter. Um Verletzlichkeit und
Vertrauen, um Trost und Schutz, auch um Last und Balance geht es
dabei, und wo der Betrachter nicht zum Zeugen solcher Beziehungen
gemacht wird, findet er sich unversehens selbst in der Rolle des
Beteiligten – etwa gegenüber der zauberhaft zarten, kindlichen
Bronze „Laura wächst“.
Ausstellung bis Ende März in der Galerie artFuhrmann, Fischereihafen
Rostock,
Mo - Fr 10 – 18 Uhr, Sa 11 – 13 Uhr. Internet: www.artfuhrmann.de
JAN-P. SCHRÖDER (Ostsee-Zeitung vom 17.12.2003)
Blick in die Ausstellung von Susanne Rast in der Rostocker Galerie
artFuhrmann. Im Zentrum die Figur „Tony, New York“,
Gips für Bronze, 2003.
Foto: T. Häntzschel
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