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Jede Menge Liebe
Rede für Norbert Kaufmann, 9. Juli 2010
Ich möchte mit einem Zitat aus der Rockmusik beginnen:
Beruhig dich, Baby, ich mein es ernst
Du hast noch eine Menge zu lernen
Ganz tief innen brauchst du es, Schätzchen
Ich werde dir meine Liebe geben
Willst du jede Menge Liebe?
(Whole Lotta Love, Led Zeppelin)
Zugegebenermaßen klingt dies im Original, also auf Englisch, etwas eleganter. Trotzdem passt der Text: In der Kunst geht es um Hingabe, um Selbstaufgabe, um Liebe letztlich - selbst wenn nicht sicher ist, ob das, was an Liebesbotschaften ausgesendet wird, auch ankommt - oder ob etwas bei der "Übertragung", bei der Übersetzung verloren geht.
Liebe, so viel ist sicher, geht immer auch - vielleicht sogar ausschließlich - durch den Magen, und daher möchte ich an dieser Stelle auch ein Kochrezept empfehlen:
Man nehme
Einige dünne Teigblätter
Frischkäse, saure Sahne, Fetakäse, Ei
Öl
Der Koch hat, was die Zutaten betrifft, einige Freiheiten - genau wie bei der Zubereitung. Auf jeden Fall werden die Milchprodukte zu einer pikanten Masse verarbeitet. Damit werden die Teigplatten beschichtet und Lage um Lage - oder auch Rolle um Rolle in eine Pfanne oder eine Bräter gelegt und mit viel Öl gebraten oder gebacken. Was dabei entsteht, nennt sich Gibanica, ein Snack für zwischendurch, der auf dem ganzen Balkan, vor allem aber in Serbien zubereitet wird.
Und damit möchte ich endlich zum eigentlichen Gegenstand kommen - zu Norbert Kaufmann und seiner Kunst.
Ich erwähne die Gibanica nicht nur, weil ich neulich im Hause Kaufmann davon probieren durfte. Dieses Gericht bezieht seinen Reiz einerseits aus der Schichtung der verschiedene Zutaten, gleichzeitig aber aus deren teilweiser Durchdringung und in jedem Fall aus ihrem Zusammenklang.
Norbert Kaufmanns Bilder arbeiten häufig mit dem gleichen Prinzip. Wir sehen eine Reihe von Drucken, die in einem Prozess des Schichtens und Überlagerns entstanden sind. Die Anfangsebene oder Anfangsidee eines Blattes wird verändert, sobald es die Druckerpresse verlässt. (Wilfried Homuth) Norbert Kaufmann bearbeitet die Blätter weiter, fügt neue Schichten hinzu. Er hilft dem Zufall auf die Sprünge, indem er in mehreren Lagen Farben kombiniert, so dass sie einander Durchdringen und an überdeckten Stellen und Leerstellen in unverhofften Kombinationen im wahrsten Sinn des Wortes aufleuchten.
Oder er bearbeitet den Druck mit Pinsel oder Rolle, mit Ölkreiden oder einfach nur mit einem Stück bemalter Wellpappe.
Was dabei entsteht, sind Blätter, die grundlegende Prinzipien immer wieder durchspielen. Linien und Flächen, akkurate oder verschwimmende Konturen. Und immer wieder diese Zeichen: Punkte, Kreisformen, Rechtecke. Sie bilden Akzente und sorgen für Kontraste. Und sie stehen für das, worum es Norbert Kaufmann geht: Den Akt des Produzierens, des kreativen Probierens. Der Freude am Entstehenden und gewissermaßen der "geplanten" Überraschung, wenn aus der Kombination von "maschinell" umgesetzten Formideen und der Geste des Malers ein gültiges Kunstwerk entsteht.
Das Angenehme bei Norbert Kaufmann ist, dass er unwahrscheinlich unprätentiös mit seinen eigenen Arbeiten umgeht. Er ist ein Macher, kein pathetischer "Schöpfer". Er vollendet oder verwirft Arbeiten, wie er auf der Bildfläche hervorhebt, übermalt und auslöscht.
Die konsequent verwendeten wiederkehrenden Zeichen werden auf den Blättern zu so etwas wie einer Sprache - mit der Norbert Kaufmann in Momenten sogar die Literaturgeschichte zitiert (Morgenstern, Fisches Nachtgesang).
Wir sehen in dieser Ausstellung aber auch ganz andere Arbeiten. Ich meine die Polaroid-Fotos. Norbert Kaufmann, 1955 in Rostock geboren, hat früh angefangen, sich mit bildender Kunst zu beschäftigen. Als Kind und Jugendlicher sah er Rostocker Malern über die Schulter, ließ sich inspirieren, lernte von den Künstlern. Dennoch ging er später andere Wege - er wurde Fotograf, als der er lange in Heiligendamm arbeitete. Vor einiger Zeit entdeckte er die Polaroids für sich - ein aussterbendes Genre, denn die Filme werden nicht mehr hergestellt.
Norbert Kaufmann nutzt dieses schnelle Medium mit archaischem Anspruch (eine Aufnahme - ein Bild), um Alltäglichkeiten festzuhalten, Szenerien der unmittelbaren Umgebung, Menschen, Tiere, Kabelgewirr, eigene oder fremde Bilder.
Auch in den Polaroids begegnen uns wieder Schichten - Norbert Kaufmann reißt sie auseinander, trennt Kunststoff von belichtetem Papier. Zu Konservierungszwecken, aber ganz bestimmt auch, um den Bildern ihre abbildende Illusion zu nehmen. Auch hier arbeitet Norbert Kaufmann weiter am vermeintlich Fertigen, er trennt und verbindet - und übermalt natürlich auch seine Fotos regelmäßig.
Wenn man über Norbert Kaufmanns Biografie redet, kommt man an seinen familiären Wurzeln nicht vorbei: Die Erwähnung der Gibanica war ja kein Zufall - genauso wenig wie sie zufällig auf dem Küchentisch der Kaufmanns steht. Norbert Kaufmanns Vater stammt aus Serbien. In den vierziger Jahren verließ die Familie das Land, siedelte nach Deutschland um. Spätestens in den Neunziger Jahren holt Norbert Kaufmann seine Vergangenheit ein - sie ihn? er sie? - als Novi Sad, die Heimatstadt seines Vaters, 1999 während des Kosovo-Krieges von NatoBombern beschossen und teilweise zerstört wird. Norbert Kaufmann sucht Kontakt zur Familie, knüpft neue Beziehungen, die bis heute halten.
Und auch darin ist sich Norbert Kaufmann treu: Biografisch ist er kein unbeschriebenes Blatt - und er stellt sich diesen Zeichen auf deiner Lebensoberfläche. Genau wie in der Malerei: Am liebsten fängt Norbert Kaufmann nicht bei Null an, sondern verwendet Fundstücke, beschriebene oder bekleckste Blätter, um sie weiter zu bearbeiten. Ein Malgrund mit Geschichte ist ihm lieber als ein reines, weißes Blatt.
Viele seiner Arbeiten entstanden während der Wintermonate - wenn die Glashütte in Glashagen, die er zusammen mit seiner Frau Regina betreibt, geschlossen ist. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Besuch, Mitte der Neunziger Jahre muss das gewesen sein. Wir traten ein in die Glashütte - und es empfing uns ohrenbetäubend Led Zeppelin. Die Besucher drückten sich eingeschüchtert an den Regalen im kleinen Verkaufsraum entlang. Und auch wir waren ziemlich verunsichert. Mittlerweile weiß ich, dass bei den Kaufmanns während der Arbeit eigentlich immer Musik läuft - bei meinem letzten Besuch war es vertrackter Jazz-Funk. Manche Blätter müssen eben erst einmal beschrieben werden.
Ich weiß nicht mehr genau, ob damals wirklich "Whole Lotta love" lief. Und dennoch passt dieses Lied. Norbert Kaufmann ist in der Kunst ein Suchender und ein Zweifelnder - aber kein Verzweifelnder. Und wer sucht und zweifelt, ist auch imstande zu lieben.
Ich glaube, Norbert Kaufmann hat - zumindest in der Kunst - eine Menge Liebe zu vergeben. Und gute Kochrezepte.
MATTHIAS SCHÜMANN |