Rede zur Eröffnung der Ausstellung von Peter Bauer in der Galerie artFuhrmann am 9. Dezember 2011
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Freunde der Kunst, lieber Peter,
eigentlich wollte ich dieser Tage mal kurz nach London – um in der Tate Modern die große Retrospektive auf das Werk Gerhard Richters anzuschauen. Aus verschiedenen Gründen hab ich’s dann doch gelassen – zumal der ganze Richter demnächst auch in Berlin gezeigt werden soll, und einige Gemälde des Künstlers derzeit sogar in Rostock zu sehen sind. Gleich am Tag nach der Eröffnung bin ich zur Kunsthalle geradelt, war sehr angetan von den Ausstellungen – und musste nicht einmal anstehen.
Es war Sonntag Nachmittag. Graubners atmende Farbkissen hatte ich zeitweise ganz für mich allein, bei Richter waren wir kurz zu dritt, und als die eine Mitbetrachterin entschwunden war, hatte ich nur noch die Aufsichtsdame als Gesellschaft, aber die drängelte sich ja nicht vor den Bildern, so dass ich in aller Ruhe gucken konnte.
So ist Rostock: Man muss gar keine Reise tun, um gute Kunst zu sehen, und trotzdem hält sich das Publikum, abgesehen von Vernissagen, in aller Regel dezent zurück.
Was die Gemeinsamkeiten mit London betrifft, müssen wir uns also an die beiden O‘s in den Städtenamen halten. Und selbst dabei möchte bemerkt werden, dass unterschiedlich betont wird. „Oh! Oh!“ hört man in London häufiger, wenn es um Kunst geht. In Rostock hingegen heißt es in diesem Zusammenhang viel zu oft bekümmert: „oh, oh“. So sprechen Kommunalpolitiker über Kunst, so denken Künstler und Kunstfreunde zu Recht über die Rostocker Kulturpolitik.
Sie fragen sich vielleicht, warum erzählt der jetzt sowas, was hat das mit Peter Bauer zu tun? Nun, ich reiße das alles nur an, weil es das Umfeld charakterisiert, in dem der Zeichner seit nunmehr 33 Jahren, nicht nur lebt und arbeitet, sondern auch tatsächlich wirkt und mit seiner Kunst überaus präsent ist.
Das muss man erst mal hinkriegen, wenn man sich darauf verlegt hat, weiße Blätter mit Linien und Farben zu bedecken. Und Bauers populärste Schöpfungen gehören ja quasi schon zum Stadtbild! Wer durch Rostock spaziert, ohne wenigstens einmal auf Straßenbahnen oder Plakaten den schelmischen Stromer zu erblicken, den er für die hiesigen Stadtwerke erfunden hat, der muss entweder blind oder verliebt sein. Und wer nicht spazieren geht, zu dem kommt die liebenswerte Parodie des Rostocker Wappentiers eben per Post.
Sogar in zehnfacher Ausfertigung, wie dieses Blatt voller Bonus-Zettel beweist, das mit einer Stromrechnung ins Haus flatterte.
Mich bringt das kleine Geschöpf immer noch zum Schmunzeln – zumal es die Marketing-Anmache auf augenzwinkernde Art ironisiert und damit sogar den Gedanken erträglich macht, von seinem Stromlieferanten für jemand gehalten zu werden, der mit Rabatt-Bons in der Hand an der Kasse des Volkstheaters aufkreuzt.
Ob dies schon zur Verschmelzung von Grafik-Design, Kundenbindung, Pop Art und Mail Art führt oder diesen Anschein nur evoziert, darüber mögen interessierte Kunstwissenschaftler tiefsinnige Betrachtungen verfassen.
Ich möchte lieber noch erwähnen, dass ich vor einer Woche eine E-Mail mit Geburtstagsglückwünschen vom Journalistenverband bekam, und daran hing – anständig digitalisiert – eine originelle Tusch-Zeichnung mit einem Hinweis, den ich freilich genauso wenig gebraucht hätte wie Sie alle hier. Unter dem Bild stand: „Diese Zeichnung hat uns freundlicherweise der Rostocker Cartoonist Peter Bauer zur Verfügung gestellt.“ Völlig unnötig.
Denn das kann man ja auf den ersten Blick sehen. Seine Hand und sein Humor sind unverkennbar.
Als ich gebeten wurde, etwas zum 60. Geburtstag von Peter Bauer zu schreiben, war ich angenehm überrascht, erfreut, aber auch ein bisschen erschrocken. Hatte ich doch erst unlängst die Ausstellung zu seinem 50. hier bei artFuhrmann rezensiert. Das konnte doch unmöglich zehn Jahre her sein! Und doch ist es so.
Die Welt hat sich weitergedreht, und der Künstler, der sehr auf unsere Welt bezogen ist, hat Schritt gehalten. Dabei ist er, ohne den Standpunkt zu wechseln oder gar den Posten des ebenso scharfsinnigen wie schalkhaften Beobachters und Kommentators zu verlassen, unbeirrt seinen Weg gegangen – immer weiter zeichnend, was er wichtig und richtig fand.
An den Wänden der Galerie sehen wir heute neben wenigen altbekannten Blättern eine ganze Reihe von Originalen, die uns vertraut erscheinen, weil uns die gedruckten Bilder wohl schon aus den fantastischen Büchern mit Katzen- und Hundemotiven angesprungen und nicht mehr losgelassen haben.
Ausgestellt waren sie bisher noch nicht. Über die Hälfte der aktuellen Schau besteht jedoch aus neueren und ganz neuen Sachen, viele hat der Künstler erst in diesem Jahr gezeichnet – darunter so tolle Blätter wie die Porträts von Charles Darwin und Woody Allen oder ein Wimmel-Bild mit Eiern – ein veritabler Augenschmaus mit dem sinnigen Titel „Am Anfang ist die Idee“.
Wie es sich für eine sorgsam kuratierte Jubiläums-Schau gehört, offenbaren alle diese Arbeiten, wenn auch in verschiedenen Facetten, was Bauers Kunst ausmacht: Genaues Beobachten, Konzentration aufs Wesentliche, Fantasie, Intellekt und Ironie, die Balance von Nähe und Distanz, Coolness und Empathie, Frische und Finesse, Wahrhaftigkeit und Witz.
Ja, Witz. Witz in erster Linie! Und zwar zunächst im überkommenen, bereits verblassenden Sinne von Esprit, Klugheit, Einsicht in den Lauf der Dinge. Überdies hat der derart Gewitzigte nicht selten den Schalk im Nacken, und dass er mit 60 mitunter noch so jungenhaft wirkt, hat ganz sicher damit zu tun.
Mit seinem Humor, mit seiner Lebens-Art, mit seiner ebenso unverstellten wie reflektierten Sicht auf unsere verrückte Gesellschaft. Wer je das Vergnügen hatte, die eine oder andere Flasche Rotwein mit ihm zu trinken, weiß, wovon die Rede ist.
Peter Bauer nimmt die Welt beim Wort, und was er dazu zu sagen oder auch dagegen einzuwenden hat, ist stets durchdacht und pointiert. Eben dies zeichnet auch seine Zeichnungen aus. Als begnadeter Cartoonist verfügt er über ein untrügliches Gespür für die Komik, die schon im Sujet selbst steckt. Und über die Gabe, sie satirisch ins Bild zu setzen.
Gute Anlagen für beides muss er schon als Wismarer Junge gehabt haben, mehr als solide gelernt hat er sein Metier als junger Mann an der renommierten Leipziger Kunstakademie, und zwar so meisterlich, dass er mit seinen Arbeiten schon lange vor dem Nach-Wende-Hype der „Leipziger Schule“ reüssieren konnte – ganz ohne rührige Galeristen und relativ auf sich allein gestellt im hohen Norden der Republik. Dafür war er schon früh gut vernetzt und hoch geschätzt im Kreis der satirischen Zeichner im Osten Deutschlands – und weit darüber hinaus.
Bauers Cartoons trafen schon damals ins Schwarze, wie beispielhaft etwa das famose Feuerwehrblatt zeigt, das es 1983 in den Band „Spitzen der DDR-Karikatur“ schaffte. Seither hat er viele, auch internationale Preise für Karikaturen und Plakate gewonnen, und seine enorme Vielseitigkeit ermöglicht ihm immer wieder den scheinbar mühelosen Spagat zwischen anspruchsvoller Gebrauchsgrafik für die Werbung und feinen Kabinettstückchen für den Kunsthandel.
Nicht zu vergessen, die wunderbar humorvollen Bücher für Kinder und Erwachsene. Was „Papa Schweinauer und sein Sohn“ – so ein früher Titel mit schweinemäßig guten Cartoons – zusammen erleben, ist mitten aus dem Leben gegriffen und bringt intelligente Kinder auch heute noch unweigerlich zum Grinsen, Prusten, Lachen – auch kleine übrigens, wenn ihre Eltern so intelligent sind, es ihnen zu zeigen und ein Stichwort zu geben.
Dass Bauer selbst an kleinen, feinen Ferkeleien seine Freude hat, zeigen – wohlgemerkt in anderen Bänden – wiederum sparsam eingestreute komisch-erotische Blätter, die heutzutage gängige Sex-Klischees zugleich lustvoll zitieren und karikieren. Überdies liebt er das ironische Spiel mit Ikonen der Kunstgeschichte, und dass er auch historische Sujets ebenso treffend wie liebevoll auf die Schippe zu nehmen vermag, hat er spätestens mit dem Heimat-Buch „Tja, so war's: Eine humoristische Zeitreise durch die Geschichte Mecklenburg-Vorpommerns“ eindrucksvoll bewiesen (– gemeinsam übrigens mit Bernd Melzer, der den kongenialen Text dazu schrieb – oder umgekehrt.)
Für das Diakonische Werk der Evangelischen Kirche hat Peter Bauer so pfiffige Plakate zum Thema Zivilcourage gemacht, dass der Diakonie-Präsident dem Künstler bescheinigt, er habe mit seiner Art die Öffentlichkeitsarbeit der ganzen Organisation umgekrempelt.
Dass er auch ein Jazzer ist, können Sie an dieser Wand sehen.
Außerdem schippern Blätter von Bauers Hand mit den Galerien der AIDA-Kreuzfahrtflotte über alle Weltmeere.
Die Leute mögen seine Hunde- und Katzen-Bilder, in denen es viel weniger um drollige Vierbeiner geht, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Dick oder dünn, versteckt oder offen, verspielt oder anzüglich, grinsend oder grausam – bei Peter Bauer müssen Miez und Muschi, Bello und Wuffo letztlich immer für menschliche Eigenschaften und Verhaltensweisen herhalten. Denn im Herzen ist er ein lupenreiner Humanist. Das heißt nicht nur, dass ihm nichts Menschliches fremd ist. Nein, sein ganzes Weltbild basiert auf einer Menschlichkeit, die maßgeblich ist für die Welt seiner Bilder.
Neben den eher heiteren Motiven zeichnet Bauer daher immer wieder auch glasklare, schwarzhumorige Statements zu politischen Themen.
Beispielhaft dafür sind Blätter wie „Schwarze raus“ als Reaktion auf Fremdenhass in Deutschland, „Taliwahn“ als Reflex auf den mörderischen Wahnsinn islamistischer Selbstmordattentäter , „By By Bush“ als Solidaritätserklärung an den Schuhwerfer von Bagdad oder, ganz neu, das Blatt „Hilfe, die ankommt“ – es zeigt ein in der Hungerwüste verlorenes schwarzes Kind, dem von einem Flugzeug aus ein Rettungsring zugeworden wird.
Wenn es um grundsätzliche Fragen geht, verdeutlicht Bauer nicht nur, was Sache ist, sondern immer auch, wo er selbst steht.
Der Künstler macht – entgegen dem Mainstream der Spasssgesellschaft – nicht Comedy, sondern Kabarett. Dazu passt übrigens, dass seine humorvollen Bilder nicht nur auf der grafischen Ebene funktionieren.
Sicher, ein gutes Bild vermag mehr zu sagen als tausend Worte, aber die verbale Dimension gehört bei Bauer meistens dazu – ein Gedanke, eine Idee. Und weil die Sprache die Wirklichkeit des Gedankens ist, sind häufig Begriffe die Transmissionsriemen, die Bauers Bildwitz treiben – unabhängig davon, ob sie im Titel auftauchen oder nicht. Machen Sie die Probe vor den Blättern, Sie werden sehen, es funktioniert.
Das Cover-Bild des druckfrischen Buches zu dieser Ausstellung zeigt übrigens sinnfällig und in typischer Bauer-Manier, wie der Künstler selbst seine Arbeit sieht: Sehen, Denken und Zeichnen gehören für ihn untrennbar zusammen. Wir sehen, was er vor allem im Kopf hat, nämlich den Zeichenstift. Und wir verstehen, wie das gemeint sein könnte: Was er mit eigenen Augen sieht, lässt er sich durch den Kopf gehen, bevor es mit spitzem Stift gezeichnet wird.
„Worauf es beim Zeichnen ankommt, ist im Kopf drin“, hat er mir erst diese Woche gesagt. „Und die besten Bilder gelangen direkt vom Kopf über die Hand aufs Papier.“
Als ich vor zehn Jahren in der Zeitung über Peters Arbeit geschrieben habe, lautete das Resümee: „Bauer ist ein Genauer. Alles, was er an Linien und Farben aufs Papier bringt, hat er im Kopf lange und sorgsam hin und her gewendet und auf den Punkt gebracht. Damit es leicht aussieht, macht er es sich schwer. Sein Strich sitzt genau, seine Farben sind so fein, wie sein Humor subtil ist. Den Spaß nimmt er sehr ernst. Bauer ist ein Schlauer. So wie er im Leben nicht viele Worte macht, macht er auf dem Papier nicht viel Brimborium. Vielleicht sind seine Bilder deshalb so pointiert. Bauer ist ein Bauer. Er ist bodenständig, ackert sorgfältig und kann warten, bis die Früchte reif sind. Eigentlich wirkt er mit 50 noch gar nicht so weise.“
Und jetzt mit 60? Wenn man Peter so anschaut, könnte man das zehn Jahre alte Zitat eigentlich so stehen lassen und nur die Zahl ändern. Denn im Wesen ist er ganz der Junge geblieben.
Vielleicht ist er gelassener geworden, milder, konzentrierter, nachdenklicher auch – und tatsächlich noch besser – als Künstler.
Mit Bauers Bildern jedenfalls, das dürfen wir hier heute Abend vergnügt feststellen, verhält es sich offenbar wie mit einem sehr guten roten Bordeaux. Das Zeug hat Klasse und wird mit der Zeit reifer und eleganter; komplexer, ausgewogener und klarer zugleich. Mit den Jahren gewinnt es immer mehr an Würze, Eleganz und Feinheit. Oder, um es simpler zu sagen: Die Freude daran wird einfach immer größer. In diesem Sinne: Viel Spaß damit!
Stoßen wir gemeinsam an auf Peter Bauer!
Jan-Peter Schröder im Dezember 2011 |